Der ev. Kirchentag und das "Wort Gottes" ?
Ende Januar 2006 vermeldete die kirchliche Presse die Losung des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentags: "Lebendig und kräftig und schärfer"; abgeleitet von Heb 4,12 "Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig . . ." Dazu habe der Kirchentagspräsident R. Höppner betont, "in der Medien- stadt Köln wollten die Protestanten das Wort Gottes in den Mittelpunkt stellen." Weiterhin wird "der Präses der gastgebenden Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider" zitiert: "Wir er- warten konkrete Zeitansagen und Wegweisungen durch das Hören des lebendigen Gotteswortes."I. Dies wirft die Frage auf: Was ist das, das "Wort Gottes"? Was genau will man auf dem Kirchentag hören, um konkrete Zeitansagen und Wegweisungen zu erhalten?
- Schlichte Laien sind der Meinung, "Wort Gottes" ist - "sola scriptura" - allein die Bibel. Und Predigt usw. ist Verkündigung, Auslegung, Erläuterung dieses biblischen "Wort Gottes".
- Prof. E. Jüngel dagegen bezeichnet es als Aberglaube, wenn man "Gottes Wort mit dem menschlichen Wort der Heiligen Schrift . . . unmittelbar" identifiziert. Die Erkenntnis der Wahrheit müsse immer wieder mit dem Anfang anfangen. ("Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens"; Mohr Siebeck Tübingen; S. 116)
- Peter Steinacker, Kirchenpräsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, antwortet auf die Frage "Ist die Bibel das Wort Gottes" klar und eindeutig: "Nein . . . Die Bibel ist nicht mit dem Wort Gottes identisch. Das Wort Gottes ist kein Buch, sondern lebendiges Geschehen. Es ist überall in der Welt zu vernehmen, auch nonverbal, zum Beispiel in der liebevollen Zuwendung zu einem anderen Menschen, wie es in der Diakonie geschieht." ("Zeitzeichen" 11/2005, S. 39)
- Prof. W. Härle fordert die "Christusoffenbarung" müsse "als kritische Instanz gegenüber der Bibel zur Geltung" gebracht werden.
Wenn nicht mit der Bibel - womit ist das "Wort Gottes" dann unmittelbar zu identifizieren? Was genau ist mit Jüngels "Anfang" oder Steinackers "lebendigem Geschehen" gemeint. Wer oder was ist die Autorität, die - laut Härle und Kollegen - als (historisch) kritische Instanz (gegen)über der Bibel steht?
Wenn nicht die Bibel - was dann will der Kirchentag in den Mittelpunkt stellen und den Medien bzw. dem 'modernen Menschen' als "Wort Gottes" präsentieren?
II. Wenn Herr Müller etwas sagt, dann ist das "Müllers Wort". Folglich sollte "Gottes Wort" das bezeichnen, was Gott sagt. Die Frage lautet, wer ist das "Gott"? Wen genau meint der Kirchentagspräsident, wenn er "Gottes Wort" in den Mittelpunkt stellen will?
In der Monatszeitschrift "Zeitzeichen" (Januar 2006; Seite 48ff.) zieht der kurz vor dem Abschluß stehende Student Florian Dieckmann eine Bilanz seines Theologie-Studiums. Die lautet sinngemäß: Am Anfang habe ich noch an einen Gott im Himmel geglaubt; jetzt, am Ende des Studiums, tue ich das nicht mehr. Heute glaube ich: "Es gibt Gott nicht außerhalb unseres Glaubens an ihn . . . Gott ist da, wo von ihm geredet wird . . . wo man Leute trifft, die an Gott glauben. Anderswo muß man ihn nicht suchen. Das ist ernüchternd . . . weil der Thron im Himmel quasi verlassen ist und leer. Weil da eben keiner sitzt über den Wolken. Keiner regiert im soundsovielten Himmel."
"Zeitzeichen" wird von der EKD offiziell als eine der "drei Säulen der evangelischen Publizistik" bezeichnet. Dort fährt man einen eindeutig erkennbaren theologischen Kurs. Der wird offensichtlich von einer Mehrheit in den kirchlichen Entscheidungs-Gremien gewollt und von einer "hochkarätigen Herausgeberschaft" repräsentiert (darunter Namen wie W. Huber, M. Käßmann und M. Kock). Wenn ein Student sich in dieser offiziellen EKD-Zeitschrift äußern darf, kann man davon ausgehen:
- er gehört nicht zu den 'Dümmsten', sondern dürfte eher ein Vorzeigestudent sein.
- er fällt nicht unter 'exzentrische Sonderlinge', sondern gibt wieder, was seine Professoren denken und ihm beigebracht haben.
- er schreibt das, was in den theologischen Kurs von "Zeitzeichen" paßt, von der Redaktion gewollt und von den Herausgebern getragen wird.
(In den beiden folgenden Ausgaben von "Zeitzeichen" erschienen zahlreiche engagierte Leser- briefe zum Thema "Laien-Ordination" und u. a. drei Lesermeinungen zum Thema "Erbarmen mit dem Vieh" bzw. "Tierhaltung". Zu dem Credo des Theologie-Studenten findet sich keine Reaktion.)
Wenn der Thron im Himmel leer ist, wessen Wort ist dann "Gottes Wort"? Wer genau ist der "Gott", von dem der evangelische Kirchentag "konkrete Zeitansagen und Wegweisungen" erwartet?
A. Rau
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