I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
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I. 3. Sumpf
Der Hauptfeind des Professors scheint das (katholische) Konzil von Trient zu sein. Das war irgendwann im 16. Jahrhundert! Er zitiert Luther, Augustin, Aristoteles, Anaximander, Domitius Ulpianus, wieder Luther . . .
Modernere Theologen kommen auch mal zu Wort - wenn sie was Passendes zu den alten Fragen geäußert haben. Die brennenden aktuellen Themen tauchen nicht auf. Die letzten 200 Jahre Theologie- Geschichte kommen in Jüngels Buch nicht vor.
Zumindest kann Laie L sie nicht entdecken. Nur an einer Stelle sieht er sie zwischen den Zeilen grinsen; S. 115f: "In der christlichen Existenz kommen Unglaube und Aberglaube . . . zu ihrer schlimmsten Steigerung . . . Es ist der Aberglaube derer, die Geist und Buchstaben verwechseln, die die Erkenntnis der lebendigen Wahrheit in das Rezitieren toter Richtigkeiten verfälschen und Gottes Wort mit dem menschlichen Wort der Heiligen Schrift, der Bekenntnisse und der dogmatischen Tradition unmittelbar identifizieren . . .
Es ist der Aberglaube, in dem die Häresie die Gestalt steriler Orthodoxie annimmt und sich der Einsicht verweigert, daß die Erkenntnis der Wahrheit immer wieder mit dem Anfang anfangen muß."
Ist das die Theologie das 20. Jahrhunderts? Es ist viel Wahres dran, aber bei genauerem Hinsehen . . . Wer sich der Einsicht verweigert, daß die Erkenntnis der Wahrheit immer wieder mit dem Anfang anfangen muß, ist ein Häretiker? Ein Irrlehrer, ein Ketzer oder am allerschlimmsten ein steriler Orthodoxer. In gewöhnlichem Kirchen-Deutsch heißt das heute wohl: ein Fundamentalist.
Wer die Bibel beim Wort nimmt, ist ein böser Mensch ? ? ?
Man kann Gottes Wort nicht "unmittelbar identifizieren" mit "dem menschlichen Wort der Heiligen Schrift".
Womit aber ist Gottes Wort dann "unmittelbar
zu identifizieren"? Wer ist die Autorität, die entscheidet, was ist
Gottes Wort und was nicht? Was ist das Mittel, das aus der Bibel Gottes Wort
macht? Oder besser: wer ist der Mittler, der das menschliche Wort der Heiligen
Schrift in göttliches Wort umwandelt?
Das sind wohl die Fragen, an
denen sich Theologie (und Kirche) heute entscheidet. Das sie überhaupt gestellt
werden müssen, treibt einem lutherischen Lutheraner den Angstschweiß auf die
Stirn. "Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen". Das
ist Reformation! Das ist evangelische Kirche! "Das Wort sie sollen lassen
stahn"!
Welches Wort "sie sollen
lassen stahn"? Durch wessen Wort wird Gott für uns zur festen Burg, zu
"guten Wehr und Waffen"? Welches Wort ist Grundlage unseres Glaubens
und Fundament unserer Kirche? Was ist Quelle und Maßstab aller Theologie?
Wo ist denn Jüngels "Anfang"? Und was ist dieser "Anfang", mit dem die Erkenntnis der
Wahrheit immer wieder anfangen muß? Die Bibel ist es also nicht! Die ist
menschliches Wort und entsprechend unzuverlässig? Die Bekenntnisse sind es
ebenfalls nicht. Die sind auch Menschenwerk und nur 'mittelbar zu identifizieren'.
Ebenso die dogmatische Tradition.
Was aber bleibt dann noch?
Vielleicht die Predigt? Muß man Gottes Wort "unmittelbar
identifizieren" mit dem, was sonntags in Kirchen geredet wird? Nach
dem Motto: "Die Predigt ist das Heilsgeschehen" (Bultmann)? Dazu nur
eine Bitte: Liebe Theologen, solche Theorien eignen sich vielleicht als
Gesellschaftsspiel in geschlossenen (Fach-)Theologen- Zirkeln; zur Not auch
noch als Beschäftigungstherapie für Studenten; aber bitte, bitte, laßt sie
nicht nach draußen, an die Ohren aufmerksamer Predigthörer dringen ! ! !
Es ist reine Höflichkeit, wenn L hier das Thema wechselt!
D. h. eine kurze Anmerkung
doch: L ist versucht, einige Anekdoten aus Predigten oder dem Leben von
Pfarrern zum Besten zu geben. Er verzichtet darauf, weil der geneigte (und wohl
auch der nicht geneigte) Leser selbst genügend davon kennen dürfte. Alle
Menschen sind Sünder, machen Fehler, erweisen sich als unzuverlässig. Sollten
sie auf der Kanzel plötzlich glaub-würdig und vertrauens-wert reden? Und
gewisser- maßen 'ex cathedra' Lebensgrund legende Wahrheit verkünden'? Nur weil
sie studiert haben und einen schwarzen Talar tragen?
Da ist der eine unfehlbare
Papst wohl doch ein weit kleineres Übel als Tausende von solchen unfehlbaren
Pfarrern?
Dann fallen einem Laien noch
fachtheologische Werke ein. Findet sich Gottes Wort in Kommentaren,
Auslegungen, Fachbüchern . . . ? Die von früher fallen heraus, denn die sind
'dogmatische Tradition'. Und die zählt nicht. Bleiben also nur die allerneuesten
und aktuellsten Produkte.
Muß man Gottes Wort "unmittelbar identifizieren" mit den
Aussagen heutiger Theologie-Professoren? Wo der ein 'Hü' sagt, der andere 'Hot'
und der nächste 'Hottehü' . . . Je nachdem, welche philosophische Mode
der einzelne gerade 'chic' findet.
L ist hilflos und findet
keine Antwort? Obwohl der Gedanke ist eigentlich recht reizvoll. Das würde
bedeuten: Die Heilige Schrift ist "menschliches Wort", und das Werk
von Professor Jüngel wäre 'unmittelbar göttliches Wort'. Unglaublich, was
das - im Blick auf seine Person und die seiner Kollegen - für Konsequenzen
hätte . . . Genug davon.
Welches Wort 'sie sollen
lassen stahn'? Was ist das: Wort Gottes ? ? ?
"Herr, dein Wort die edle Gabe, diesen Schatz erhalte mir;
denn ich zieh es aller habe und dem größten Reichtum für.
Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn? . . . "
So steht es im Evangelischen
Gesangbuch unter Nr. 198. Brave Christenmenschen sollen dieses Lied
gelegentlich singen. Es wäre nett, wenn die akademische Theologie diese Frage
auch einmal klar und deutlich beantworten würde: "Worauf soll der Glaube
ruhn?"
Gibt es etwas, auf das ich
mich 100prozentig verlassen kann? Etwas, worauf ich meinen Glauben zuverlässig
stützen kann? Das mir auch in schweren Zeiten sicheren Halt gibt? Etwas, das
für mich (und meine Kirche) verbindlich gilt? Gibt es irgendwo in dieser
wankenden Welt 'einen festen Punkt' für mein Leben . . . ? Das sind die Fragen,
die den 'modernen Menschen' bewegen. Mit deren Beantwortung unsere Kirche steht
und ohne die sie fällt!
L hört diese Antwort in der
heutigen Theologie nicht. Auch Jüngel versucht sie erst gar nicht . . .
(Mehr dazu in den Kapiteln
II.1., II.2., und II.7.)
"Immer wieder mit dem Anfang anfangen . .
." Das ist eine Aussage ganz nach L's Geschmack: großartig,
ergreifend, intellektuell anstrengend - und absolut nichtssagend.
Oder doch nicht? Ist hier der
Punkt den Conzelmann meint? Daß Theologen in der kirchlichen Öffentlichkeit
manches laut sagen und anderes nur leise denken? Tut Theologie genau das, was
in der kirchlichen Praxis immer mehr in Mode kommt: Wenn der Glaube nicht mehr
zeitgemäß ist oder gar unbequem, dann wird er halt umfrisiert? Man beginnt
einfach an einem anderen Anfang und zwar solange, bis die 'Wahrheit' genau so
aussieht, wie man sie gerne haben möchte?
Hier kann L sich sogar hinter
prominenten Theologen verstecken. Albert Schweitzer und seine "Geschichte der
Leben-Jesu-Forschung" liegen zwar schon einige Jährchen zurück. Das darin
aufgedeckte Grund- problem scheint sich jedoch allerbester Gesundheit zu
erfreuen: Die Ergebnisse 'wissenschaftlicher theologischer Arbeit' sehen am
Ende oft genau so aus, wie es der 'Wissenschaftler' am Anfang gewünscht hat.
Es ist nur ein unbestimmter
Eindruck. L kann ihn nicht völlig belegen. Aber er hat das Gefühl, der
theologische Traditionsverein bewegt sich auf wankendem Boden. Unter ihm ist
tiefer, trügerischer Sumpf . . .
Es mag kurios klingen: L
steht in vielen Punkten eigentlich voll hinter dem Professor! Rechtfertigung
ist sicher tatsächlich d a s Zentrum des christlichen
Glaubens und wohl d i e entscheidende Frage für jeden
Menschen. Es ist dringendst zu wünschen, daß hier Klarheit herrscht und die
Grundlagen der Reformation lebendig bleiben. Was nützt die romantischste
ökumenische Abendmahlsfeier, wenn keiner weiß, was da eigentlich gefeiert wird
. . . ?
Und dennoch, was nützen
Belehrungen über höhere Reformations- Mathematik, wenn man vielerorts nicht
mehr bis drei zählen kann?
Das Christliche am
christlichen Abendland kämpft ums nackte Überleben. Den Kirchen geht's kaum
besser. Sie siechen dahin, müde, ohne Ausstrahlung, ohne Botschaft, ohne Kraft.
Theologie hängt in der Luft; wirft mehr Fragen auf als sie Antworten gibt.
Die Fundamente versinken; die
Mauern wanken; das Dach droht einzustürzen - ist es wirklich die Zeit, den
Altar zu restaurieren (oder gar das Luther-Denkmal)? Braucht es tatsächlich
Tröpfchen von goldener Schminke? Oder brauchen wir theologischen Beton; und
Steine? Große, schwere, feste Steine um die Fundamente zu stützen . . . ?
Die Gemeinde steht vor
unzähligen großen, fast unlösbaren, Aufgaben. Sie wartet auf Antworten - klare,
eindeutige, glaub-würdige Antworten. Aber genau die liefert Jüngels Buch nicht!
Im Gegenteil, er drückt sich um die entscheidenden Punkte. Er argumentiert in
einem künstlichen, theologisch keimfreien Raum. All die Irrungen, Wirrungen und
Verwerfungen der heutigen Theologie blendet er einfach aus.
Deshalb empfindet L sein Buch
als daneben. Neben den brennenden theologischen Problemen unserer Zeit.
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