I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
I. Allgemeine Eindrücke |
I. 4. Seifenblasen |
Zurück |
I. 4. Seifenblasen
Hier hat L einige Probleme. Als Laie hat er ja nur ein vages Bild von Theologie. Zusammengesetzt aus vielen Eindrücken, gesammelt im Laufe vieler Jahre - ein Mosaik aus unzähligen winzigen Steinchen. Jedes sieht anders aus, viele passen nicht zusammen; und trotzdem formen sich bestimmte Empfindungen, einigermaßen deutliche Bilder. Diese aber sachgerecht und ihrer Vielschichtigkeit entsprechend zu beschreiben, ist kaum möglich. Noch schwieriger ist es, diese Eindrücke eindeutig zu belegen; sie an konkreten Aussagen oder Ereignissen festzumachen. Dennoch soll es versucht werden . . .
Eine große Sonntagszeitung befragt Prominente, welche speziellen Erwartungen sie im Blick auf das neue Jahr 2000 haben. Eine evangelische Bischöfin äußert: "Im Gottesdienst begegne ich Gott . . . - das war in den vergangenen 2000 Jahren so und wird in Zukunft so sein."
Ist das nicht rührend? Im Gottesdienst begegnet sie Gott! Man nehme nun bitte die Fußballmannschaft von Rot-Weiß Abcdorf (eine Bundeswehr-Kompanie oder die Ballett-Truppe vom XY-Theater) und stecke sie in den nächst besten Gottesdienst. Anschließend frage man: "Wem oder was sind Sie hier begegnet?" Die Antworten wären sicher aufschlußreich . . .
"Im Gottesdienst begegne ich Gott . . . " Kirchlich-theologisch gesehen mag diese Aussage nicht falsch sein. 'Normale Menschen' aber können damit nichts anfangen. Für sie ist das schlicht Blödsinn. Denn sie erleben es völlig anders.
In Theologie, Kirche, Predigt geschieht das oft. Es wird religiös-bunter Wort-Filz gewoben und fromm-duftender Wort-Weihrauch verströmt. Kirchlichen Trott gewöhnte Hörer geben sich damit zufrieden. Sie kennen es nicht anders und denken nicht mehr nach. Schaut man sich diese wohlklingenden Reden aber genauer an, steckt oft nicht viel dahinter.
Professor Jüngel ist nicht so
plump. Er argumentiert geschickt und sichert sich nach allen Seiten ab.
Dennoch, auch bei ihm schimmern solche Phrasen durch:
S. 219". . . in der besonderen Freude der als
Gemeinschaft der Glaubenden versammelten Heiligen . . . 'Mit jubelnder Freude'
feierte die älteste Gemeinde die Gegenwart Jesu Christi im Mahl des Herrn (Act
2,46), weil sich in ihr ein souveräner Indikativ ereignet: der Gnade
ausströmende Indikativ des Evangeliums von der Rechtfertigung des Gottlosen."
Also deswegen sind die
evangelischen Kirchen am Sonntag immer so überfüllt! Im Gottesdienst bzw.
Abendmahl der Gemeinde wird Gnade ausgeströmt, die jubelnde Freude auslöst. Aha.
S. 219"Und nun sollte es sich eigentlich von selbst
verstehen, daß aus solchem Glauben ganz spontan Taten, Taten der Dankbarkeit
hervorgehen . . . ist der Glaube Ursprung angespanntester Tätigkeit zum Wohle
der Welt."
O Professor, komm nach
Abcdorf! Gemeinde, Kirchenkreis, Landes- kirche - Ursprung angespanntester
Tätigkeit zum Wohl der Welt ? ? ? Die Welt vernimmt's mit Staunen ! ! !
S. 224"Die Aufdeckung aller Lebenslügen . . . die
Befreiung aus ihnen wird da möglich, wo man der Wahrheit die Ehre gibt . . .
Diese Wahrheit aber ereignet sich . . . ekklesiologisch in der Gestalt
gottesdienstlichen Lebens."
Vier Frauen und ein Pfarrer,
der seinen Job erledigt. Da ereignet sich Wahrheit? Befreiung aus allen
Lebenslügen . . . ? Gehen die Männer deshalb lieber in die Kneipe? Weil
sie soviel Wahrheit nicht aushalten?
Nur leider, mit ein paar
lockeren Bemerkungen ist dieses Thema nicht abgetan. Rudolf Bultmann, einer der
bekanntesten und einflußreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts, wird zitiert
("Die Sache mit Gott"; H. Zahrnt, dtv 1982); S. 273f "Ich bin
der Meinung, daß wir vom Leben und von der Persönlichkeit Jesu so gut wie
nichts mehr wissen können
. . . es möge gewesen
sein, wie es wolle".
Hier steht der Geist vor
Ehrfurcht still! Da weiß jemand von Jesus 'so gut wie nichts'. Trotzdem war er
Theologie- Professor. Was Jesus gesagt und getan hat, war ihm egal - 'es möge
gewesen sein, wie es wolle'. Diese Einstellung lehrte er angehenden Pfarrern .
. .
In "DER SPIEGEL"
Nr. 50/99 findet sich auf den Seiten 130 - 136 ein Interview mit dem Theologen
Andreas Lindemann. Dieser wird vorgestellt: "Lindemann ist
Professor für Neues Testament . . . und einer
der renommiertesten deutschen Bibel-Forscher, der so genannten Exegeten . . . schrieb . . . das "Arbeitsbuch zum Neuen Testament", mit 84 000 Exemplaren
(12. Auflage 1998) eines der meist- gekauften Bücher zu dem Thema. Überdies
gibt er das "Handbuch zum Neuen Testament" heraus.
Jedem Christen sei empfohlen,
sich dieses SPIEGEL-Interview zu Gemüte zu führen. Dort dürfte das wirkliche, das
ungeschminkte Gesicht heutiger Theologie zu sehen bzw. deren Herz offenbar
geworden sein.
Spiegel: Wenn sich nahezu alles, was über
Jesus in der Bibel steht, als unhistorisch erwiese, könnte es Ihren Glauben
erschüttern?
Lindemann: Nicht im Geringsten . . . In der
historischen Erforschung des Neuen Testamentes kann es immer nur
Wahrscheinlichkeiten, nichts völlig Sicheres geben, und man muß immer mit neuen
Erkenntnissen rechnen, die ein Umdenken erfordern.
Für den Glauben gilt das nicht.
Und vor allem kann ich ihn nicht davon abhängig machen, was wir historisch
forschenden Theologen jeweils feststellen."
Nochmals: "Wenn nahezu
alles, was über Jesus in der Bibel steht, nicht wirklich geschehen wäre -
könnte das Ihren Glauben erschüttern?"
"N i c h t i
m G e r i n g s t e n !"
Das ist die Überzeugung eines der
"renommiertesten" (deutschen) Theologie-Professoren: "Ich kann
meinen Glauben nicht abhängig machen von dem, was wirklich passiert ist? Er
beruht nicht auf wirklichem Geschehen. Christlicher Glaube ist ein (nahezu)
reines Phantasie-Produkt ! ! !"
L würde gerne noch einige
Zitate nachschieben. Nur leider, das führt zu weit. Die Ergebnisse der
historisch-kritische Forschung sind ein Thema für sich. Nur soviel: Solche
Aussagen stammen nicht von exotischen Sonderlingen. Sie sind (weithin)
allgemein anerkannte Grundüberzeu- gung heutiger Theologie: der christliche
Glaube gründet sich nicht auf geschichtlichen Ereignissen. Er beruht nicht auf
historischen Fakten sondern ist eine frei erfundene Lehre.
Bultmann hatte die Trennung
von Theologie und Geschichte auf die Spitze getrieben. Seinen Schülern ist das
peinlich und so rudern sie wieder ein wenig zurück. Trotzdem, der 'historische
Jesus' ist für sie nicht Grundlage, Quelle oder gar 'Gegenstand' ihres
Glaubens; sondern Illustration und Argumentationshilfe.
Dies ist der Eindruck, der
'hier unten' in der Gemeinde entsteht: Zwischen Theologie und Geschichte gibt
es kaum eine Verbindung. Akademischer Glaube ist eine (intellektuell
anstrengende) künstliche Konstruktion, eine über der Geschichte schwebende
Wolke geistiger Seifenblasen.
Das Buch unseres Professors
sagt zu diesem Thema kein Wort. Die Probleme moderner Bibelkritik kommen darin
nicht vor. Nur ihr Geist schwebt über den Wassern der Jüngelschen Wortflut;
S.179ff ". . . weil es Gottes Wort ist, schöpferische Kraft hat . . . das das Sein des Menschen effektiv verändert
. . . Das rechtfertigende Wort konstituiert also das
menschliche Sein neu . . . "
Der Professor lobt das Wort
Gottes in den höchsten Tönen! Aber er sagt halt nie, was das denn ist, dieses
'Wort Gottes'. Jüngel stellt den Begriff einfach in den Raum . . .
Bultmann wußte von Jesus
"so gut wie nichts". Aber auf diesem "So-gut-wie-nichts'
errichtete er ein gigantisches Gedankengebäude, nahezu ein 'eschatologisches
Universum'. Jüngel sagt über Gottes Wort "so gut wie nichts". Dennoch
strickt er eine bunt schillernde Recht- fertigungslehre drum herum.
"Gott hat
gehandelt", sagt Bultmann. Schön, aber wie denn und wann denn und wo denn?
Wenn wir von diesem Handeln "so gut wie nichts mehr wissen können" -
wie und was sollen wir dann glauben ? ? ? 'Es ist Gottes Wort', sagt Jüngel.
Schön, aber was ist das denn genau? Wenn 'Gottes Wort' nicht klar und eindeutig
zu erkennen ist, wie und was und wem sollen wir dann glauben?
S.182:"Gottes Wort konstituiert das menschliche Sein neu, indem es den
Menschen auf Jesus Christus bezieht und ihn dort . . . zu sich selbst kommen
läßt . . . die den Menschen zutiefst bestimmende Relation." usw.
usw.
Es steckt viel Wahrheit drin!
Kein Theologe und schon gar kein bibellesender Laie wird dem widersprechen.
Eine schöne Behauptung. Doch was nützt diese schöne Behauptung, wenn sie durch
"so gut wie nichts" bestätigt wird? Wenn ihre einzige Grundlage die
rege Phantasie eines Theologie-Professors ist?
Soll ich meinen Glauben
gründen auf religiöse Theorien - nur weil z. B. Bultmann sie verkündet? Ist
'Wort Gottes unmittelbar zu identifizieren' mit den im Buch aufgeführten
Bibelstellen - nur weil Jüngel sie zitiert? Ist Wahrheit das, was Jüngel,
Bultmann und Kollegen so schwungvoll behaupten - bloß weil sie Professoren sind
und ständig den Begriff 'Gott' im Munde führen?
Lukas verstand sich als Zeuge
geschichtlicher Ereignisse. Er hat "die Geschichten, die unter uns
geschehen sind" sorgfältig erkundet und in guter Ordnung aufgeschrieben:
"wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen
haben". Damit andere den sicheren Grund der Lehre erfahren, in der sie
unterrichtet werden (Lk 1,1ff). Auch Johannes betont: "Was wir gesehen und
gehört haben, das verkündigen wir euch . . . "
Heutige Theologie spricht
diesen Zeugen nahezu jede Glaubwürdigkeit ab. Sie macht aus ihnen orientalische
Erzähler, die ihren Glauben in religiösen Phantasie-Geschichten zum Ausdruck
bringen. Die Apostel seien nette, fromme Menschen; ihre Zeugen-Aussagen hätten
jedoch kaum einen historischen Wert . . .
Damit tut heutige Theologie
genau das, was sie der Bibel vorwirft. Sie reißt einen 'garstigen Graben der
Geschichte' auf. Der verläuft jedoch nicht quer durch die Zeit sondern mitten
durch den Raum. Er trennt Kanzel und Gemeinde. Oben auf der Kanzel steht die
Theologie; unten in den Bänken sitzt die Geschichte. Und zwischen beiden
"ist eine große Kluft befestigt". Sie können nicht zueinander kommen.
Das Problem sind nicht die
2000 Jahre zwischen Christus und heute; ist auch nicht die heute angeblich
unverständliche Form, wie Menschen damals dachten und redeten. Das Problem sind
die philosophisch überdrehten Theorien der Fachtheologie; ist die für 'normale
Menschen' unverständliche Form, wie akademische Theologen h e u t e
denken und reden!
Viele Pfarrer (und
Pfarrerinnen) mühen sich nach Kräften! Sie organisieren Kaffeetrinken,
Gemeindefeste, Ausflüge, Konfirmanden- Freizeiten. Sie renovieren Kirchen und
Pfarrhäuser; verantworten Kinder- gärten und Sozialstationen. Sie weihen
Feuerwehr-Fahnen, leiten Kirchenchöre und holen die Don-Kosaken. Sie schreiben
Gemeinde- Blätter, Kollekten-Abrechnungen, Kirchgeld-Bettelbriefe . . .
Den (auf diesen Gebieten)
talentiertesten gelingt es, ein reges Vereins- leben zu organisieren. Aber
einen das ganze Leben durchdringenden, lebendigen Glauben vermitteln - wo
geschieht das noch? Echte, tiefe 'Frömmigkeit' - wo entsteht die heutzutage
noch ? ? ?
Viele Pfarrer versuchen
verzweifelt, Theologie zu den Gemeindegliedern zu transportieren; 'genitivus
auctoris' usw. in Leben zu übersetzen. Aber gelingt das wirklich? Wie oft
reichen sie 'Brot des Lebens' von der Kanzel? Und wie oft steigen nur bunte
Seifenblasen auf? Die dann über leere Bänke und einige wenige müde Herzen
dahinschweben - bis sie irgendwo an der Orgel zerplatzen?
Es ist nur ein unbestimmter
Eindruck. L kann es schwer beschreiben. Theologie heißt: viele schöne, kluge,
religiöse, tiefsinnige evangelische Gedanken. Aber das Leben ist anders. Die
Menschen sind anders. Sie empfinden anders, denken anders, glauben anders. Sie
suchen einen Gott, der ihr Leben verändert. Einen Gott, der sich in ihrer ganz
persönlichen Geschichte 'offenbart' - und nicht nur aus Kanzelreden schillert.
Falls Gott sich in der
Geschichte offenbart (hat), dann bezieht der Glaube seine Kraft aus Wurzeln in
der Geschichte. Wenn diese Wurzeln abgetötet werden, stirbt auch der Glaube.
Theologen-Hirne können weder die Geschichte ersetzen noch den Glauben ernähren.
Dafür bieten sie entschieden zu wenig Raum und Nährstoffe . . .
Dies gilt auch für Jüngel: er
argumentiert klug, gebildet, gewandt, tiefsinnig; er treibt kunstvolle
theologische Artistik, imposante Gedanken- Akrobatik. Aber das letzte, das
alles entscheidende Kunststück gelingt ihm nicht: der Sprung in die Geschichte,
ins 'Fleisch', ins Leben. Er versucht es immer wieder. Wortreich auf vielen
Seiten. Vergeblich!
Zu diesem Thema wurde schon
unendlich viel geschrieben. Buchstäblich Tonnen von Büchern zu Glaube und
Geschichte, Historie, Historizismus, Geschichtlichkeit, Eigentlichkeit,
personale Beziehung . . .
'Kerygma' heißt ein
Wundermittel, das den Graben zwischen Kanzel und Gemeinde überbrücken soll.
Immer neue intellektuelle Kunst- stückchen werden ausprobiert. Theologie ist
wie eine Manege mit Attraktionen auf höchstem technischen Niveau. Die tollsten
Zauber-Tricks werden mit äußerster Präzision vorgetragen. (Ob die wirklichen
Experten, die Historiker, das auch so sehen, sei dahingestellt. Der unbedarfte
Laie zumindest ist beeindruckt.)
Nur leider, Kirche ist kein
Zirkus. Sondern Suppenküche für 'Mühselige und Beladene'. Die kommen nicht, um
sich irgendwelche Illusionen vorgaukeln zu lassen. Sie wollen 'Brot des
Lebens', Nahrung für ihre Seelen. Entscheidend ist nicht die Qualität der
Vorstellung. Entscheidend ist, ob es da 'was zu Essen' gibt. Auch die 'modernen
Menschen' spüren sehr genau, ob sie 'getröstet und erquickt' werden. Oder ob
sie mit leeren Herzen wieder abziehen müssen.
Laien vermögen der
akademischen Fachdiskussion nicht zu folgen. Aber Brot von Seifenblasen zu
unterscheiden, so weit reicht es denn doch. Und der Besucheransturm zu den
'Shows' am Sonntagmorgen zeigt: dort wird offenbar (weithin) brotlose Kunst
getrieben . . .
Geschichtslose Theologie mag
noch so kunstvoll glänzen - sie macht einfach nicht satt!
Zurück | Weiter |
Rechtfertigung |
I. Allgemeine Eindrücke |
I. 4. Seifenblasen |