I. Allgemeine Eindrücke
I. 1. Kleinigkeiten am Rande
I. 2. Museumsstück
I. 3. Sumpf
I. 4. Seifenblasen
I. 5. Der feine Unterschied
I. 6. Leergut
II. Konkrete Fragen
II. 1. Mythos
II. 2. Rechenkunst
II. 3. Konsequente Inkonsequenz I
II. 4. Das 'Urwort des Seins'
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II
Theologen- Theorie
Laien-Kommentar
Kirchliche Praxis
Anhang Laientheologie: Buße
II. 6. Heiligung
II. 7. Wahrheit
Nachwort
Zusammenstellung der Fragen
Literaturverzeichnis
Rechtfertigung |
II. Konkrete Fragen |
II. 5. Konsequente Inkonsequenz II |
Kirchliche Praxis |
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Kirchliche Praxis
Auch hier gilt wieder: theoretische Haarspaltereien sind die eine Seite, ihre Auswirkungen in den Gemeinden die andere . . .
Angenommen, der Tod Jesu sei - im Bilde gesprochen - wie ein riesiges Kraftwerk, das seine Energie in ein weltweites Netz von Stromleitungen einspeist. Durch den Glauben würden die einzelnen Häuser an dieses weltweite Netz angeschlossen. "Konsekration" (Buße) wäre dann wie das Einschrauben der Hauptsicherung, die dem Strom den Weg zu den Steckdosen im Haus freigibt.
In unserer Kirche werden nun die unterschiedlichsten (das Leben effektiv verändernde!) Elektrogeräte angeboten. In unzähligen Werbe- veranstaltungen werden deren Vorzüge gepriesen. Und dennoch, das Interesse bleibt eigenartig gering. Die Geräte scheinen kaum jemanden wirklich zu überzeugen. Immer mehr Kunden steigen um auf andere Anbieter. Und selbst diejenigen, die noch welche besitzen, sollen sie nur zu 3 - 5 Prozent regelmäßig nutzen.
Die kirchlichen Fachleute scheuen weder Kosten noch Mühe, um die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Ganze Heerscharen von Spezialisten basteln und werkeln und schrauben und hämmern und reparieren an den Geräten herum. Oder schreiben immer wieder neue, bessere Bedienungsanleitungen. Es wird alles getan und versucht - nur die Hauptsicherungen in den einzelnen Häusern kontrolliert niemand . . .
1999 kam eine Gruppe von leitenden Angestellten doch einmal (wohl eher versehentlich?) auf die Idee, während einer EKD-Synode nach den Sicherungen zu schauen. Da war es ausgerechnet Prof. Dr. Eberhardt Jüngel, der sie davon abhielt. "Die Sicherungen sind in Ordnung!" rief er aus. "Der Strom fließt in jedes Haus, durch alle Leitungen und Steckdosen. Wir müssen lediglich 'aus Nichtsehenden Sehende machen': Wir müssen den Menschen die Augen öffnen, welch erstklassige Geräte wir zu bieten haben und wie diese zu bedienen sind."
Also basteln und werkeln und schrauben und hämmern und reparieren die Heerscharen von Spezialisten weiter und weiter und weiter. Und wundern sich, warum sich kaum jemand für ihre Fabrikate interessiert . . .
Die entscheidende Frage lautet: wer (oder was) ist ein Christ? Oder genauer: wie wird ein Mensch zum Christen? Gibt es im Menschen eine solche 'Hauptsicherung', die beim 'Heiden' unterbrochen beim Christen aber eingeschraubt ist - und so dessen Sein effektiv unter 'göttlichen Strom' setzt?
Jüngels "Indikativ" verneint das. Für ihn ist "der Mensch - jeder Mensch! - am Kreuz Christi tatsächlich gestorben" (S. 141). Folglich steht jeder einzelne "von Anbeginn" unter 'göttlichem Strom'. Deshalb braucht auch niemand mehr an das weltweite Leitungsnetz angeschlossen zu werden. Die Menschen müssen nur aufwachen und begreifen, daß und wie sie den Strom nutzen können. Die Frage, "wie wird ein Mensch Christ", stellt sich im Grunde nicht. Eine klare Definition (d. h. auch: Abgrenzung) und die dadurch erforderliche Grenzüberschreitung ist kein Thema. "Buße" als bewußte Tat kommt in Jüngels Ausführungen nicht vor.
Der Konjunktiv von Struktur A dagegen "unterscheidet . . . messerscharf zwischen den Glaubenden als Kindern des Lichtes und den Nicht- glaubenden als Kindern der Finsternis" (Jüngel vor der EKD-Synode). Zwischen denen, die unter Strom stehen, und denen, die noch angeschlossen werden müssen. Die Frage, "wie wird ein Mensch Christ", ist von größter Bedeutung. "Buße" ist ein zentrales Thema; im NT findet sich dieser Begriff halt 49 mal. Die Reformation begann in genau diesem Punkt . . .
Die kirchliche Praxis folgt (weithin) Struktur B. Sie belehrt Christen- menschen, wie sie glauben und leben sollen. Die Frage, wie man überhaupt ein solcher wird, ist kein Thema. Der Gedanke, daß ein Kirchenmitglied nicht an den göttlichem Strom angeschlossen sein könnte, wird entrüstet zurückgewiesen. Was oder wer ein Christ ist und wer nicht, kann oder will im Grunde niemand genau sagen.
Aber genau dies droht die gesamte Kirche in Sand zu setzen (Mt 7,24ff). Denn die versteht sich als organisierte Gemeinschaft von Christen (oder gar "Gemeinschaft der Heiligen"). Wenn aber nicht klar gesagt wird, wer ein Christ ist - wer garantiert dann, daß Kirche wirklich Kirche ist?
S. 136: "Ein Sühneopfer . . . das für das Leben dessen eintritt, der den Tod verdient hat. Kultisch tritt dieses andere als Opfer an die Stelle des Schuldigen, indem dieser seine Hand auf den Kopf . . . des Opfers legt und damit sich mit dem Opfer identifiziert."
S. 140: "'. . . ist der Glaube die dem Handaufstemmen im alttestament- lichen Kult funktional entsprechende Identitätsübertragung.'"
Falls dem so ist, könnten Tausende von Tieren getötet werden - wenn der Schuldige seine Hand nicht auf den Kopf des Opfers legt, nutzt ihm das gar nichts! Dann könnte auch Christus tausendmal am Kreuz gestorben sein - wenn der Sünder nicht mit Christus verbunden ist, wäre er noch immer "draußen". Er wäre nicht gerechtfertigt. Er hätte keine Gemeinschaft mit Gott. Er wäre nicht "in das Heilige inkorporiert". Er gehörte nicht dazu.
Wenn Fachtheologie durch ihre Struktur B diese "Identitätsübertragung" für überflüssig erklärt (bzw. zumindest so erscheinen läßt), dann läuft sie Gefahr, eine Kirche zu 'zeugen', deren Glieder nicht "in das Heilige inkor- poriert" sind. Eine Kirche voller "Christenmenschen", die sich vielleicht für Christen halten, es aber letztlich nicht sind. Eben weil die entscheiden- de Sicherung nicht eingeschraubt ist; sie folglich nicht 'unter göttlichem Strom stehen' und genau deshalb die alles entscheidende 'effektive Veränderung ihres Seins' nicht geschehen kann. Eine Kirche, die ihren 'Schäfchen' den Weg ins 'Reich Gottes' nicht zeigt; und sie dadurch vor der Grenze verhungern läßt. Eine Kirche, die auf diese Weise auch sich selber - langsam aber sicher - nach 'draußen' befördert . . .
Nochmals S. 150: ". . . alle Werke, die vor der Rechtfertigung getan werden, seien . . . wahrhaft Sünde und verdienten Gottes Haß . . . "
und S. 152: ". . . der Wille des Menschen immer besetzt sei - entweder von Gott oder vom Teufel . . . "
Falls diese Grundposition reformatorischer Theologie zuträfe, dann käme dem Wendepunkt (Buße, "Konsekration", "neue Geburt" . . . ) aller- größte Bedeutung zu! Dann sollten Theologie und Kirche diesen alles verändernden Lebensakt auch mit allergrößtem Nachdruck betonen. (Und auch z. B. die Konsequenzen des 'Nichtvollzuges' deutlich bezeugen!) Andernfalls sollten ihre Vertreter prüfen, ob nicht auch ihnen genau die Jacke paßt, die ihre Kollegen bereits vor 2000 Jahren anziehen mußten? Mt 23,13: "Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein, und die hinein wollen, laßt ihr nicht hineingehen."
Aber nicht nur das. Mt 12,25:
"Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede
Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht
bestehen."
Kirche lebt aus dem Glauben
ihrer Mitglieder; d. h. aus gemeinsamen Überzeugungen und Zielen. Wenn diese einigende
'inhaltliche Mitte' zersetzt wird, droht dies die gesamte Organisation Kirche
zu zerstören.
Wer ein "von Herzen kommendes Ja zu Jesus Christus" sagt,
wird auch von Herzen ja zu seiner Kirche sagen (auch wenn diese ihn oft genug
zur Verzweiflung treibt). Wo man sich dagegen nicht bewußt und verbindlich für
'die Sache' entscheidet, wird auch die Beziehung zur Kirche eher unverbindlich
bleiben. Es gibt unzählige 'sonstige' Gründe, in der Kirche zu sein bzw. sich
für sie zu engagieren. Aber all diese 'sonstigen' Gründe - so gut und ehrenwert
sie auch sein mögen! - tragen in sich die Tendenz zur "distanzierten
Mitgliedschaft" oder gar "Ritual- abschöpfung": Man setzt sich
ein, solange bestimmte Ziele erreichbar scheinen; ist dies nicht mehr der Fall,
zieht man sich zurück. Oder man macht mit, solange es Spaß macht; wenn der Spaß
aufhört, dann endet halt auch das 'Engagement'.
Um lebendig zu bleiben,
benötigt Kirche die Herzen ihrer Mitglieder. Wenn sie auf einen, auf diese
Herzen zielenden, L e b e n s - Akt verzichtet zugunsten von
Ritualen, (wie auch immer gearteter) religiöser Bildung oder gar kirchlicher
Spaß-'Events' - dann gewinnt sie nicht die Herzen, sondern nur (bestenfalls)
die Köpfe oder (wohl eher) die Bäuche.
Das Blut der Märtyrer war der
Same der Kirche. Sinngemäß dürfte gelten: Treue, 'Geduld' und Opferbereitschaft
ihrer Glieder sind die Wur- zeln, aus denen Kirche ihre Kraft bezieht. Oder -
im Bilde besprochen - der Felsen, auf dem Kirche Halt findet. Ob unsere
evangelische Kirche derzeit auf Sand oder solchem Felsen erbaut ist, muß sich
erst erweisen. Die Erprobung der Treue (oder 'Leidensbereitschaft') der
heutigen Kirchenmitglieder steht noch aus! Bislang sorgte die Verbindung von
Thron und evangelischem Altar noch immer für (relativ) schönes Wetter. Was
aber, wenn "nun ein Platzregen fällt und Wasser kommen und Winde wehen und
stoßen an die Kirche" (Mt 7,24ff)? Die Entwicklung in der DDR war wohl ein
erster Vorgeschmack. Dabei zählten "Wasser und Winde" in der DDR noch
zu den eher gemäßigten Unwettern . . .
(Sicher, die Sakramente
könnten hier eine wichtige Rolle spielen! In den Strukturen einer Volkskirche
verfehlen sie jedoch ihren Sinn. Insbeson- dere die - an sich sinnvolle! -
Praxis der Säuglingstaufe geht weithin ins Leere. "Wer da glaubet u
n d getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt,
der wird verdammt werden
. . . " [Mk 16,16].
"Allein die Taufe" kann weder den einzelnen Christen noch die gesamte
Kirche definieren - geschweige denn retten.)
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