1. Die Einladung
2. Der theure Opa
3. Das Ehrenamt
4. Gnade
5. Heilige Zahlen
6. Glaubens-Bekenntnis
7. Theologe und Maurer
8. Schauspielkunst
9. Philosophie
10. Das Geheimnis
3. Das Ehrenamt
- Ein Exempel -
Herr M ist Musiklehrer. Er wohnt in einem Dorf mit 800 Seelen, ist verheiratet und Mitglied der Kirchgemeinde. An deren Veranstaltungen hat er noch niemals teilgenommen.
An einem trüben Novembertag regt sich sein Edelmut: "Ich sollte einmal ein gutes Werk tun. Ich kann Klavier spielen, deshalb könnte ich an Heilig Abend in der Kirche die Orgel spielen. Die haben ja sonst keinen, der das macht."
Der Pfarrer ist vor Glück außer sich. Drei Wochen vorher besucht er Herrn M, küßt dessen Füße und teilt ihm mit, welche Lieder gesungen werden. Der Ablauf der Feier wird mehrmals ausführlich durchgesprochen.
Nach dem Gottesdienst bedanken sich sämtliche Mitglieder des Gemeindekirchenrates (GKR) persönlich bei Herrn M: "Schön, daß die Orgel wieder erklungen ist." Acht der treuesten Kirchgängerinnen drücken ihm schweigend, mit Tränen in den Augen, die Hand. Eine Woche später kommt der Pfarrer und bringt einen Präsentkorb vorbei. "Von der dankbaren Kirchgemeinde!"
Im Dorf hat sich der soziale Status von Frau M sprunghaft erhöht. Sogar die Nachbarinnen, die nicht zur Kirche gehen, blicken ihr neiderfüllt hinterher: "Solch tüchtigen Mann hat die gar nicht verdient."
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Herr M ist mit sich zufrieden. Deshalb spielt er im folgenden Jahr auch zu Ostern, Pfingsten und Erntedank.
Der Pfarrer schickt vier Tage vorher einen Zettel mit den Liedern. Nach vollbrachtem Werk nicken die GKR-Mitglieder Herrn M freundlich zu. Die acht treuesten Kirchgängerinnen drücken ihm dankbar die Hand. Der Pfarrer verabschiedet sich ebenfalls mit kräftigem Händedruck: "Vielen Dank, das war eine große Hilfe."
Der Status von Frau M sinkt wieder auf das gewohnte Niveau: "Sie ist die Frau des Musiklehrers und die sind halt ein eigenes Völkchen."
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Herr M, vom Edelmut fortgerissen, tritt die Orgel nun auch bei anderen besonderen Anlässen wie Hochzeiten, Goldener Konfirmation usw.
Der Pfarrer ruft zwei Tage vorher an und teilt die Lieder mit. Die Damen und Herren vom GKR grüßen mit ausdruckslosen Gesichtern. Die acht treuesten Kirchgängerinnen nicken freundlich. Der Pfarrer verabschiedet sich mit Handschlag: "Herzlichen Dank."
Im Dorf spürt Frau M mißtrauische Blicke hinter ihrem Rücken: "Na ja, ein wenig komisch waren die schon immer."
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Herr M wird immer eifriger und orgelt jetzt einmal monatlich auch während eines ganz gewöhnlichen Gottesdienstes.
Samstags 21.00 Uhr ruft der Pfarrer an und sagt die Lieder durch. Im Gottesdienst trifft M nur eine Frau aus dem GKR; sie nimmt ihn nicht zur Kenntnis. Die acht treuesten Kirchgängerinnen grüßen höflich. Der Pfarrer winkt ihm zu: "Schönen Sonntag."
Das Ansehen von Frau M ist spürbar gesunken: "Die Ärmste ist die Frau vom frommen Sonderling."
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Schließlich krönt Herr M sein Wirken und spielt jeden Sonntag. Ein Gottesdienst dauert ja nur 45 Minuten und das, denkt er, werde er schon schaffen.
Am Samstag-Abend ruft Herr M den spürbar genervten Pfarrer an. Der sucht stöhnend die Lieder aus. Vom GKR läßt sich niemand blicken, die Honoratioren haben Wichtigeres zu tun. Von den acht treuesten Kirchgängerinnen sind nur drei anwesend. Sie haben bedeutsamen Gesprächsstoff und würdigen ihren Organisten keines Blickes. Der Pfarrer nickt im Vorbeifahren hinter der Scheibe seines Wagens.
Frau M wird gemieden. Man möchte nicht mit ihr gesehen werden.
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Im Übereifer beginnt Herr M auch noch zu denken. Macht Vorschläge, wie das Gemeindeleben im Allgemeinen und der Gottesdienst im Besonderen verbessert werden könnten.
Im GKR ist man empört: "Der behauptet, was bisher getan wurde, sei nicht vollkommen. Das ist Gotteslästerung!" Der Pfarrer argwöhnt, M zweifele an der makellosen Heiligkeit seines Pfarrherren. Die Vorsitzende vom GKR ist überzeugt, der Rebell säge an ihrem Stuhl und wolle ihren Posten. Beide fassen dies als Kriegserklärung auf und leiten entsprechende Gegenmaßnahmen ein. Die acht treuesten Kirchgängerinnen sind traurig wegen des Unfriedens, den M in die Gemeinde trägt.
Frau M traut sich nur noch im Dunkeln auf die Straße. Sie fürchtet die Gerüchte, die über sie im Umlauf sind.
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Herr M zählt mittlerweile zum Inventar. Im Januar gibt der Pfarrer bekannt: "Am 14. Juni ist Konfirmation." M meldet sich schüchtern: "An dem Tag bin ich nicht da. Meine Eltern feiern Goldene Hochzeit." "Kein Problem", sagt der Pfarrer, "das regeln wir schon."
Am 12. Juni bringt der Pfarrer die Lieder. "Aber ich fahre doch weg", sagt Herr M. "Waaas? Das geht doch nicht!" Dem Pfarrer fehlen vor Wut die Worte. Die acht treuesten Kirchgängerinnen beginnen, Federn zu sammeln. Der GKR beschafft ein Faß Teer. Und die Sippen der Konfirmanden rüsten zur Lynchjustiz . . .
M kapituliert und erfüllt seine kirchliche Pflicht. Seine Frau erleidet einen Nervenzusammenbruch. Nach erfolgter Behandlung reicht sie die Scheidung ein. M's Eltern ändern ihr Testament. Weil ihr Sohn so undankbar ist, sollen Geld und Häuschen später den selbstlosen Dienst der Kirche fördern.
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Ehrenamtliche aller Gemeinden seid vorsichtig!
Tut nur fünf Prozent von dem, was ihr tun möchtet. Dann werdet ihr von allen geliebt, mit Ehre überschüttet und erspart euch einen Haufen Ärger.