1. Die Einladung
2. Der theure Opa
3. Das Ehrenamt
4. Gnade
5. Heilige Zahlen
6. Glaubens-Bekenntnis
7. Theologe und Maurer
8. Schauspielkunst
9. Philosophie
10. Das Geheimnis
7. Theologe und Maurer
- ein Gleichnis -
Es gingen zwei Menschen hinaus in das Leben, um tätig zu sein, der eine ein Theologe, der andere ein Maurer.
Der Maurer ging hin als Lehrling auf eine Baustelle. Er sah die Bauarbeiter und wurde einer von ihnen. Er sah sie klotzen und gammeln; hörte Witze und Lachen; vernahm Klage und Fluchen; erlebte Streit und Kameradschaft; war beim Feiern und Saufen . . . Er gehörte dazu.
Der Theologe ging hin als Student an eine Universität. Er sah die Professoren und Kommilitonen und wurde einer von ihnen. Er sah sie lehren und büffeln; hörte Witze und Lachen; vernahm Klage und Fluchen; erlebte Freundschaft und Gehässigkeit; war beim Feiern und Saufen . . . Er gehörte dazu.
Der Maurer wurde Geselle und ging hin auf eine Baustelle. Dort erwarteten ihn die Bauarbeiter und begrüßten ihn in ihrer Mitte. Er klotzte und gammelte; lachte und fluchte; stritt und war fröhlich; feierte und soff. Er lebte ein Leben in Dreck und Kalk, bei Wind und Wetter; er wuchs hinein in dieses Leben; es war sein Leben.
Der Theologe wurde Pfarrer und ging hin in eine Gemeinde. Dort erwartete ihn die Frauenhilfe und begrüßte ihn in ihrer Mitte. Er kämpfte mit Konfirmanden und hielt schöne Reden; er lachte, war stets nett und grüßte jeden; zu fluchen wagte er nicht, zu streiten und saufen auch nicht; er feierte Gottesdienste und versuchte fröhlich zu sein. Er lebte ein Leben in Würde und Freundlichkeit inmitten lächelnder Gesichter; er wuchs hinein in die Rolle eines Pfarrers; sein Leben wurde zum Rollenspiel.
Der Maurer wurde Teil einer Truppe. Seine Kumpel lästerten über seine Anfängerfehler; traten ihn in den Hintern, wenn er pfuschte; klopften auf seine Schultern, wenn etwas gelungen war; standen ihm bei, wenn es Ärger gab.
Er wurde stark in dieser Truppe; wuchs durch Kritik und Lob, durch Erfolge und Niederlagen, durch Zustimmung und Auseinandersetzung. Er sah seine Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Fehler.
Er wuchs und wurde ein Mann. Er kannte das Leben und wußte, was er wert war.
Der Theologe war allein. 'Herr Pfarrer' sagten die Frauen in der Frauenhilfe; 'Herr Pfarrer' sagte das Paar, das zum Traugespräch kam; 'Herr Pfarrer' sagten die Feuerwehrleute; 'Herr Kollege' sagten seine Kollegen.
Er gewöhnte sich an dieses 'Herr Pfarrer'; es gefiel ihm. Bald sah er nicht mehr das Unverständnis in den Augen der alten Frauen; bemerkte nicht die Abneigung in den Mienen des jungen Paares; hörte nicht die Witze der Feuerwehrleute hinter seinem Rücken; erfaßte nicht die Geringschätzung in den Stimmen der Kollegen.
Er wurde hoch inmitten schöner Worte und falscher Freundlichkeit; er war ein Pfarrer und wuchs hinein in die Meinung, wichtig, tüchtig und unersetzbar zu sein. Er wußte nicht, was er nicht wußte; ahnte nicht, wieviel er nicht konnte. Er vermochte sich und seine Arbeit niemals realistisch zu sehen.
Der Maurer hatte Erfolg und gründete eine Firma. Er hatte viele Angestellte. "He Chef", sagte einer, "was sie da machen ist Quatsch, so geht das viel besser." Der Maurer überlegte: "Tatsächlich, Junge, du hast recht; künftig machen wir das anders; für diesen Vorschlag bekommst du eine Prämie!"
Der Angestellte freute sich; hier lohnte es sich zu arbeiten; für diesen Chef würde er durchs Feuer gehen.
Der Theologe hatte viele Gemeindeglieder. "Herr Pfarrer, was sie da tun, könnte man anders und besser machen", sagte ein junger Mann. Der Theologe erschrak; was sollte die Gemeinde von ihm denken; womöglich fangen noch andere an zu kritisieren? Herablassend sagte er: "Das hat theologische Gründe; sie verstehen die Zusammenhänge nicht!"
Der junge Mann schwieg und kam kaum noch zur Kirche. "Ich muß aufpassen, daß der nicht für die Wahl zum GKR aufgestellt wird", dachte der Theologe, "Frau Müller ist viel geeigneter, die hat mir noch nie widersprochen."
Der Theologe stand für sich und stöhnte: Ach Gott, was habe ich für eine schlechte Gemeinde; dumpf, träge, nur am Materiellen interessiert, besonders dieser Maurer. Ich dagegen habe ein Hochschulstudium, arbeite für zwei und bekomme viel zu wenig für das, was ich alles leiste.
Der Maurer aber stand ferne und dachte bei sich selbst: "Gott? Wer weiß, vielleicht ist doch was dran?" Er fand keinen Anlaß näherzutreten.
Je höher die Pfarrer um so erniedrigter die Gemeinden und um so ferner die Maurer.